Dienstag, September 24

Prolog: Knochengarten

"Huch!"
Ein Zweig knackt, ein Vogel flattert empört kreischend aus den Blättern auf. Stille fällt auf den Wald. Schüchtern sieht ein Augenpaar aus dem Buschwerk. Es gehört einer jungen Frau, die da am Ende des Wegs auf das Dickicht gestoßen ist. Jetzt sucht sie einen Pfad hindurch und kommt nur schwerlich voran. Sie hat ein bisschen Schreibzeug dabei, Papier und Federn und ein kleines, in Leder eingeschlagenes Notizbuch. Ansonsten führt sie kein Gepäck mit sich. Trotzdem muss sie sich durch die Hecke kämpfen, die den Weg versperrt.


Sie will hindurch, will unbedingt auf die andere Seite. Auf keinen Fall einen Schritt zurück, einen anderen Pfad. Nur dorthin, was auch immer da ist. Und dann findet sie ein Tor hinter den Ranken, geschmiedet und uralt. Zum Glück ist es offen geblieben, obwohl die Zweige sich darin verwoben haben. Sie schlüpft hindurch. Sie sieht...

Ein Schloss. Oder die Reste davon. Prächtig und alt und groß und so verlassen. Kein Licht, kein Herdfeuer. Tiere sind die Hausgäste. Die Pflanzen wachsen aus jedem Spalt. Und der Wind seufzt in den Fensterhöhlen. Merkwürdig, dass das große Tor über der Treppe nicht aus den Angeln gefallen ist und aussieht, als hätte es jemand repariert. Ein Pfad windet sich von den Stufen fort, zwischen Heidegras und wuchernden Rosen und Himbeeren auf den Wald zu. Ausgetreten von täglich wiederkehrenden Füßen. Eine einzelne Laterne steht neben dem Tor. Ein rostiger Briefkasten klammert sich daran fest, den verbeulten Deckel wie ein zahnloses Grinsen geöffnet. Sein Boden ist vom Zahn der Zeit herausgefressen worden und hängt nur noch an einigen wenigen Nieten.

Neugierig tritt sie hervor. Die Brombeeren krallen sich in ihre Rocksäume, als wollten sie sie zurückhalten. Unwirsch entringt sie sich ihrem Griff, doch ihre Augen bleiben auf das Schloss gerichtet. So fasziniert ist sie von dem Gemäuer, dass die Brennesseln nicht bemerkt, durch die sie watet. Ein Maulwurfshügel fängt schließlich ihre Fußspitze ein und zwingt ihren Blick wieder auf den Weg. Da fällt ihr auf, dass Knöchelchen im Gras liegen. Von Tieren, klein und einige auch etwas größer, blank und von Sonne und Wind gebleicht. Mäuseschädel neben denen von Katzen und Hunden, Hasenskelette und die feinen Wirbelchen von Schlangen. Dutzende Vogelbeine, ein paar Schnäbel. Hauer und Zähne und ein paar zerbrochene Geweihe kann sie in der näheren Umgebung entdecken. Dutzende Rippen. So viele Knochen...

Verwundert geht sie weiter, doch die Knochen werden nicht weniger. Je näher sie dem Schloss kommt, desto mehr werden es. Das hohe Gras und die verwilderten Kräuter verhüllen zwar alles auf den ersten oberflächlichen Blick, doch allzu schnell wird dieser wundersame Friedhof dem Betrachter offenbar. Viele Knochen näher an der Treppe sind zerbrochen, zum Teil wie Reisig einfach zerbröckelt. Als wäre jemand achtlos darauf herumgelaufen.

Sie geht an den Stufen zum Portal vorbei, überquert den mit groben Knüppeln bedeckten Trampelpfad. Dort liegen keine Knochen, als hätte jemand sorgsam aufgeräumt. Dafür wuchern hier wieder die Rosen, flache kümmerliche Sträuchlein, über die man leicht hinwegsteigen kann. Einige fette Hagebutten hängen darin. Sie sammelt im Vorbeigehen eine Handvoll und schiebt sie in ihre Schürze.

Jenseits des Knüppelpfads setzt sich die Streu aus Knochen fort. Als nicht abzusehen ist, dass es weniger werden, kehrt sie um und stapft zur Treppe zurück. Obwohl schon Gräser und Winden zwischen den Stufen hervorbrechen und auf dem oberen Absatz ein kleines Büschel Glockenblumen im Wind schaukelt, ist offensichtlich, dass die Steinquader noch nicht lange hier liegen. Die Treppe wurde erst vor einigen Jahren erneuert und weder verwittert noch abgenutzt. Das Laub vergangener Herbstmonate hat eine feine Humusschicht in die Ecken gestreut, aber der Mörtel ist intakt und der Frost hat noch keinen Hebel gefunden.

Sie findet sich vor der Tür wieder. Schweres Holz, ein schnörkelloser Klopfer, die Beschläge ohne Zier und zweckdienlich gearbeitet. Trotzdem ist sichtbar, dass es eine Arbeit von guter Qualität ist. Sie schlägt den Klopfer zweimal an.

Klick.

Das Türblatt gleitet einen Spalt weit auf. Anscheinend nur angelehnt, kann es der Wucht des Klopfers nichts entgegenhalten. Beide Hände gegen das Holz gepresst, drück sie gegen die Tür. Entgegen der Erwartung quietscht nicht. Ganz lautlos und leicht schwingt sie zur Seite, die Angeln sind gut geölt.

Ein Luftzug geht ihr durchs Haar, in den dunklen Durchgang vor ihr hinein. Als würde das Schloss Atem holen, sie einsaugen. Sie merkt nicht, dass ihre Hände zittern vor Aufregung, dass ihre Augen weit geöffnet sind und ihre Lippen zusammengepresst. Nur der nächste Schritt ist ihr bewusst, und dass ein Haken hinter ihrem Herzen sitzt, an einer unsichtbaren Leine Zug geübt wird.

Und sie....

[...geht...]
[...weiter...]
[...hinein...]
[ . ]

2 Kommentare:

  1. Ich bin wirklich sehr gespannt darauf wie es weiter geht. Ein schöner Prolog und eine tollte Idee (vorallem als Blog).

    Liebe Grüße
    Shanee

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    1. Dankeschööööön! <3
      Freut mich sehr, dass es dir gefällt. In Zukunft wird es wohl auch noch viele Bilder geben, damit alles etwas anschaulicher wird. :)

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