Samstag, Juli 18

Der Schluss eines Kreises ist sein Anfang

Ein Mädchen sitzt in einem Garten zwischen den Brombeerranken. Hinter ihr erhebt sich ein Schloss aus dem wuchernden Grün. Kein großes, eher ein Herrenhaus denn ein Schloss, aber von feiner Bauart. Das Rund des Gartens umschließt es auf allen Seiten und die Brombeeren kriechen die Sockel und Streben empor, sodass der Eindruck entsteht, das Schlößchen wäre ein Schiff inmitten grüner Wogen.

Eine Frau sitzt in einem Garten und ihr gegenüber liegt lang hingestreckt eine schwarze Gestalt, ein schwarzer Panzer. Das Mädchen trägt keine Kleider am Leib, ihr weißes Miederkleid hält sie gefaltet im Schoß.

Sie ist aus dem Panzer gestiegen, und der Panzer war das scheußliche Biest. Sie ist aus dem Mieder gestiegen und das Kleid war das tugendhafte Kind.

Was aus dem Panzer und dem Kleid kam, ist eine Frau, die vor den Spiegel getreten ist und sich selbst im Ganzen gesehen hat: Sich selbst und ihr Spiegelbild. Und wie die sittsame Schöne ihr Mieder löste und ihr Hemdchen ablegt, so fielen von dem Schwarzen Unhold im Spiegel die Platten herunter und die Stacheln ab. Die Nackte im Garten hat gesehen, wie sich der Spiegel auflöst und sie allein zurückbleibt, mit den Masken, den Larven, die sie getragen hat auf der Bühne. Die Bühne hat sich ebenfalls aufgelöst, nur die Frau ist noch da, und ein schwarzes und ein weißes Kleid.

Eine Schöne und ein Biest.

Sie sind beides zusammens, eins und keins, aus ihnen beiden entsteht ein Wort, aus dem Wort entsteht die Geschichte, aus der Geschichte entstehen sie beide. Die Geschichte erzählt sich in schwarz und weiß, in Bedeutung und Leeraum, in nicht und in sein, im Gegensatz, der sich im Satz auf dem Papier vereint. Der Satz ist ein Spiegel und zeigt die Figuren, die vor ihn treten. Was du im Satz siehst, siehst du in dir selbst. Was du in dir selbst siehst, siehst du im Satz.

Oft genug bleibt da nur noch eine Frage: Ist das wirklich wahr?
Wie oft kann man diese Frage stellen, wie oft hält man sie selbst aus, wie oft wagt man sich bis zu dieser Frage vor?

Und die nächste Frage ist: Was ist die Antwort darauf?


Sie hat ein Heim zurückgelassen und ein Heim gefunden.

2 Kommentare:

  1. Der graue Ritter - Teil 1

    Eines Tages fand ein Ritter die Prinzessin, wie sie da im Grase saß. Es war keiner von den strahlenden, weißen Rittern, aber auch keiner von den finsteren, schwarzen. Unter seinem leichten, eisernen Panzer, der deutliche Gebrauchsspuren aufwies, trug er graue Kleidung. Sein Gesicht wurde verdeckt von einer ausdruckslosen Eisenmaske. Der graue Ritter war nicht zu Pferd unterwegs, da er sich davor fürchtete, bei einem Sturz sein Genick zu brechen, also ging er zu Fuß. Anstatt eines Rosses führte er drei große Hunde mit sich, einen weißen, einen schwarzen und einen grauen.
    Als der graue Ritter die Prinzessin entdeckte, machte er sich bemerkbar, blieb aber einige Zeit abgewandt hinter einem Baume stehen, damit sie sich ankleiden konnte – entweder in ihr weißes Miedergewand, oder in die schwarze Rüstung. Wie sie sich auch entschied, der Ritter war entschlossen, mit ihr zu sprechen. Denn es war kein Zufall, dass er sie hier gefunden hatte.
    „Meine Dame“, grüßte er mit einem höflichen Kopfnicken, als er das Gefühl hatte, sich ihr nun nähern zu dürfen. Seine Hunde stöberten in einiger Entfernung in den Büschen, ohne die beiden Menschen zu beachten. Nur ein Ohr zuckte manchmal in ihre Richtung.
    „Ich habe Kunde erhalten von dem Biest, mit dem ihr euer Leben teilt. Ich bin hier um euch mitzuteilen, dass auch ich mit der Anwesenheit eines solchen Biestes gesegnet und zugleich verflucht bin. Aber ich habe einen Weg gefunden, es zu zähmen.“
    Er hielt einen Moment inne, um der Dame die Möglichkeit zu geben, das Gesagte setzen zu lassen, ehe er fortfuhr. „Anfangs habe ich es angebrüllt, es geschlagen und sogar mit Messern geschnitten, damit es mich in Ruhe lässt. Ich habe versucht, es mit verschiedensten Giften zu betäuben. Nichts davon hat geholfen und ich dachte, ich muss nur noch härter zu ihm sein, damit es endlich Ruhe gibt und aufhört, die Menschen, die ich liebe, anzugreifen.“
    Er leckte sich einen Moment hinter seiner Maske nervös die Lippen, denn auch wenn er versuchte, nach außen hin ruhig zu erscheinen, bewegte es sein Herz, davon zu sprechen.
    „Ich weiß nicht mehr, wie es dazu kam, aber eines Tages ging ich den gegenteiligen Weg. Ich akzeptierte, dass dieses Biest hier ist, um mich zu schützen und kein Fluch, sondern ein Wächter, der nur manchmal etwas übereifrig ist. Und ich akzeptierte, dass dieses Biest niemals gehen würde, egal, was ich ihm antat. Also dankte ich ihm für seinen Schutz und erklärte ihm, dass ich fortan allein auf mich aufpassen kann. Ich streichelte es und bat es, sich schlafen zu legen. Ich musste ihm versprechen, dass ich es rufen würde, wenn ich es brauchte. Ich sang, nicht ein Lied, sondern viele und deckte es mit einer warmen Decke zu, streichelte die Narben, die ich ihm zugefügt hatte und bat um Vergebung. Und dann schloss das Biest mit einem Lächeln seine Augen. Es schläft nicht sehr fest, immer wieder schaut es und manchmal knurrt es. Aber wann immer es sich erheben will, begegne ich ihm mit Liebe, anstatt mit Hass. Und seitdem hat es niemanden mehr zerrissen.“
    Der Ritter blickt sich nach seinen Hunden um, doch diese kümmern sich nicht um ihn. Sie interessieren sich nur für die Düfte in den blühenden Sträuchern.
    „Ich habe es natürlich trotzdem nicht hundertprozentig unter Kontrolle“, fuhr der Ritter ein wenig kleinlaut fort. „Und manchmal hilft mir nur, vor seinem Wüten davon zu rennen, sobald ich sehe, dass es sich erhebt. Ich ziehe meine besten Schuhe an und leichte Kleider. Und dann laufe ich, egal welches Wetter herrscht, laufe so schnell und so weit ich kann. Da das Biest immer bei mir bleibt, um mich zu bewachen, läuft es mir den ganzen Weg nach und am Ende ist es so erschöpft, dass es keine Kraft mehr hat, um zu wüten. Dann legt es sich von allein wieder zur Ruh.“

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  2. Der graue Ritter - Teil 2

    Der graue Ritter pfiff. Die drei Hunde kamen zu ihm, liefen wedelnd um seine Beine und um die der Prinzessin, rochen an ihren Händen, stupsten sie sacht.
    „Danke, dass Ihr mir zugehört habt, meine Dame. Ich möchte euch ein Geschenk da lassen, damit ihr meine Worte nicht vergesst. Einen meiner Hunde, der euch in eurem Schloss Gesellschaft leisten mag und auf euch achten wird, denn ich muss weiter, die Nebel rufen mich. Nehmt dieses silberne Halsband und legt es jenem dieser Hunde um, den ihr behalten mögt.“
    Er wies nacheinander auf die Hunde und stellte sie vor.
    „Die weiße, hochbeinige Hündin heißt Wind. Sie ist sehr aufmerksam und die schnellste von den dreien. Sie ist eine geschickte Jägerin und wird dir helfen all deine Ziele zu erreichen. Sie ist frei und unabhängig, du musst dich kaum um sie kümmern. Sie liebt es, mit dir durch die Wälder zu streifen, dem Wild hinterher. Sie lehrt dich Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit.
    Der schwarze, bullige Rüde hier heißt Schatten. Er ist sehr anhänglich und wird dich auf Schritt und Tritt begleiten. Er ist der stärkste von ihnen und wird dich vor jeder Gefahr beschützen. Aber er ist auch sehr sensibel und braucht viel Liebe. Am liebsten liegt er abends mit dir gemeinsam vor dem Lagerfeuer und blickt in die Flammen. Wärme, dieser Hund ist Wärme, Geborgenheit und Schutz.
    Und das graue Zotteltier da – bei ihm habe ich wegen seines langen Felles noch nicht herausgefunden, ob es eine Hündin oder ein Rüde ist. Es ist ein Streuner, der gern eigene Wege geht, aber immer wieder zurückkehrt. Darum habe es Staub genannt. Staub ist für gar nichts gut, außer, um deine Traurigkeit zu vertreiben. Dieses Tier hat immer gute Laune, ist freundlich und verspielt. Staub weiß immer, wie es dir geht und wenn anwesend, wird es dich aufheitern. Allerdings ist Staub nicht immer zuverlässig und manchmal lange unterwegs um zu streunen. Staub ist sehr klug und kreativ und wird dir helfen, neue Wege zu gehen und frische Ideen zu finden, wenn du einmal nicht weiter weißt.
    Welchen der drei Hunde ihr auch nehmt, es ist immer eine gute Wahl.“
    Dann nahte die Zeit des Abschieds.
    „Meine Dame, ich muss nun wieder fort. Die Begegnung war sehr angenehm. Ich wünsche Euch noch eine glückliche Zeit.“
    Damit verschwand der Ritter mit seinen verbliebenen Hunden im Nebel und war bald nicht mehr zu sehen.

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